computer channel > news > hardware + software > Interview24.01.2000

 

Ein Gespräch mit Richard Stallman

Als der ehemalige MIT-Mitarbeiter Richard Stallman 1984 unter dem Namen GNU das Projekt startete, Software zu programmieren, die jeder frei kopieren und weiter verbessern kann, stand seine Idee noch ganz im Zeichen anarchistischer Ideale. "Sobald GNU geschrieben ist", verkündete Richard Stallman damals, "wird jeder in der Lage sein, gute Systemsoftware so frei wie Luft zu bekommen" (s. GNU-Manifest[1] ).

von Patrick Conley

Platzhalter Richard Stallman
Der Präsident der Free Software Foundation als Flötenspieler.
Sieben Jahre später, 1991, programmierte der finnische Student Linus Torvalds unter dem Namen Linux einen Kernel für GNU. Damit war die erste Etappe von Stallmans Ziel erreicht. Heute ist GNU/Linux als Betriebssystem außerordentlich populär und feiert seine größten Erfolge dort, wo Stallman es vermutlich am wenigsten erwartet hätte: An der Wall Street im Zentrum des Kapitalismus.

Richard Stallman engagiert sich in mehreren Organisationen und ist Präsident der Free Software Foundation in Boston. Unser USA-Korrespondent, Patrick Conley, wollte von ihm wissen, wie er den Erfolg von Linux beurteilt und welche Chancen er dem Betriebssystem außerhalb des Kreises von Serveranwendern und Computerfreaks einräumt.

Computer Channel: Lassen Sie uns über Linux sprechen ...

Richard Stallman: Gerne, aber sind Sie sich sicher, dass Sie überhaupt wissen, was "Linux" ist? Es klingt als würden Sie einem weit verbreiteten Missverständnis aufsitzen.

Computer Channel: Das betrifft vermutlich bereits meine erste Frage: Die meisten Leute sprechen von "Linux". Sie bevorzugen den Ausdruck "GNU/Linux".

Richard Stallman: Ja, dieser Ausdruck ist richtig, denn es geht um die Verbindung zwischen dem Betriebssystem GNU und Linux als Kernel dieses Systems. Wobei GNU nicht für eine bestimmte Abkürzung steht, sondern auf den Ursprung des Programms hinweist: "GNU ist nicht Unix" - eine Art Hacker-Humor. Wir haben bereits 1984 damit begonnen, ein komplettes mit Unix kompartibles Betriebssystem zu programmieren. 1991 war die Arbeit daran fast beendet. Während wir einen Kernel schrieben, programmierte Linus einen eigenen, den er Linux nannte.

Computer Channel: Haben Sie sich dabei mit Linus Torvalds abgesprochen?

Richard Stallman: Wir haben überhaupt nicht zusammengearbeitet. Linus hat für sich allein gearbeitet und uns von seiner Arbeit auch nichts berichtet. Der Punkt ist: Wir konnten uns gar nicht für oder gegen Linux als Kernel entscheiden, da wir ihn nicht kannten. Aber andere Leute, die den neuen Kernel ausprobiert hatten, suchten nach Möglichkeiten, ihn zu ergänzen und stießen dabei glücklicher Weise auf GNU. - Wobei es strenggenommen kein Glück war, sondern fast ein komplettes Jahrzehnt unserer Arbeit.

Computer Channel: Warum war Linux erfolgreicher als der von Ihnen entwickelte Kernel?

Richard Stallman: Unserer war einfach noch nicht fertig und kam erst einige Jahre später heraus. Wer damals schon ein komplettes Betriebssystem haben wollte, war auf Linux als Kernel angewiesen, was für uns auch kein Problem war. Der Kernel war immer nur ein kleiner Teil des Projekts. Unsere Ziel war viel weiter gefasst: Unser Ziel war ein völlig freies Betriebssystem. Und wenn dieses System mit Linux, das ich heute selbst benutze, als Kernel funktioniert, ist das völlig in Ordnung. Aber die Leute sollten wissen, dass der Grund, warum es das Betriebssystem gibt, auf uns zurückgeht.

 

Die Rolle der Distributoren

Computer Channel: Wenn Sie auf die letzten zwölf Monate zurückblicken, was waren für Sie die wichtigsten Ereignisse in dem Bereich GNU/Linux?

Richard Stallman: Was mir Sorgen macht und was sich sehr deutlich abzeichnet, ist kein spezielles Ereignis, sondern eine Tendenz. Und zwar die wachsende Tendenz, dass die Distributoren von GNU/Linux zunehmend non-free-software in ihre Programmpakete integrieren. Sie geben den Leute ein Produkt, das rein technisch gesehen sehr mächtig ist, aber den Gedanken der Freiheit ignoriert.

Was zunehmend populär wird, ist also ein Produkt, das gerade nicht komplett frei ist. Die ganze Bewegung läuft zunehmend in eine falsche Richtung. Viele stellen sich heute unter GNU/Linux nur noch ein Betriebssystem vor, das irgendwie in Konkurrenz zu Windows steht und für das sie nichts bezahlen müssen. Das ist ein völliges Missverständnis. Wenn ich von free-software spreche, geht es um Freiheit und nicht um kostenlose Programme.

Computer Channel: Linus Torvalds sagte vor kurzem in einem Interview mit der Los Angeles Times, dass er mit dem kommerziellen Erfolg von Linux sehr zufrieden sei, weil ...

Richard Stallman: Das wundert mich nicht, denn er interessiert sich nicht für den Gedanken der Freiheit. Sie war auch nie sein Ziel. Ich bin Linus ein paar Mal begegnet. Mir gegenüber hat er gesagt, er sei ein apolitischer Mensch. Ich vermute, es war lediglich sein technisches Interesse daran, zu verstehen, wie ein Kernel funktioniert, das ihn veranlasst hat, selbst einen Kernel zu programmieren.

Computer Channel: Aber würden Sie der These zustimmen, dass Linux beziehungsweise GNU/Linux durch die Kommerzialisierung an Benutzerfreundlichkeit gewonnen hat?

Richard Stallman: Es gibt Wichtigeres! Ich spreche nicht über technische Details, sondern über die politische Bedeutung. Der einzige Weg, einen Computer zu benutzen, ohne sich zu unterwerfen, besteht darin, vollständig frei zugängliche Software zu benutzen. Freiheit wird gegen Bequemlichkeit eingetauscht - und das ist sehr traurig.

Computer Channel: Sehen Sie dann überhaupt eine Chance, dass sich Ihre Idee der free-software durchsetzt?

Richard Stallman: Ich kann nicht in die Zukunft sehen. Ich kann nur soviel sagen, dass ich nicht generell gegen kommerziellen Erfolg bin. Ich sehe auch nicht "die Firmen" als die Schuldigen, obwohl alle Distributoren, die ich kenne, GNU/Linux mit non-free-software verseuchen. Der User ist selbst dafür verantwortlich, welche Programme er wählt und steuert mit seinen Wünschen indirekt das Angebot. Leider gibt es überall in der Welt die Tendenz, Bequemlichkeit und Profit über den Gedanken der Freiheit zu stellen.



Die Links aus diesem Artikel:
  [1] http://www.gnu.de/mani-ger.html



Die Online-Version dieses Artikels finden Sie unter http://www.computerchannel.de/news/hardware_software/stallman_4/stallman_4_1.phtml

© 2000 Der Autor & G+J Computer Channel GmbH